Ob Ei oder Henne zuerst da waren, muss auch ich offen lassen. Das Haushuhn jedenfalls entstand aus dem Wildhuhn. Eine der ersten bekannten Arten (viele 1.000 Jahren vor Christus) ist das südostasiatische Bankivahuhn. Die Vielfalt der Hühnerrassen ist dem Menschen geschuldet. Ergebnis seiner erfolgreichen Zuchtbemühungen. Alleine der europäische Rassegeflügelstandard kennt gute 180 davon. Andererseits bedroht der Mensch auch wieder diese Biodiversität. Ihr Totengräber ist die Agrarindustrie.

Blättern Eltern mit ihren Lieben in Kleinkindbüchern gilt es darin Hahn, Henne, Ei und Küken zu identifizieren. Die Glücklichen picken und scharren immer im Grünen. Die Sonne scheint dazu. Der Betrachter hat hier das sogenannte Zwie- oder Zweinutzungshuhn im Auge. Zweinutzung: Eier und Fleisch. Seit es um Hof und Haus kräht und gackert, der natürliche Standard.

Ab den 1920er Jahren hat man allerdings damit begonnen, diese Fähigkeiten auf speziell gezüchtete Rassen zu konzentrieren. Hier die Legehühner, dort die Fleischhuhnrassen. Das ganze gipfelte dann Anfang der 1960er Jahre im Hochleistungskunstprodukts des Hybridhuhns – Folge komplexer Kreuzungen zweier verschiedener Inzuchtlinien. Es ist schon aberwitzig. Man will seine Eier und sogar sein Leben. Dafür richtet man sich aber nicht respektvoll und dankbar nach seinen Bedürfnissen, seinem außerordentlichen Wohlergehen, nein, man versucht das Tier vielmehr vollständig industriellen Verwertungsmechanismen anzupassen, schafft Produktions“maschinen“. Doch bleiben es natürlich Lebewesen – und leiden entsprechend. Das Masthuhn am Turbowachstum für seine Schlachtreife nach 28 Tagen und das Eierhuhn an der abgeforderten Legeleistung von bis zu 330 Eiern im Jahr. In der Wegzüchtung des Sättigungsgefühls liegt eine hässlich-schöne Analogie zu einem System, das jedes Maß verloren hat …

Nur vier Konzerne teilen sich heute bei den Legehennen den gesamten Weltmarkt untereinander auf – es sind die Kameraden Lohmann (PHW-Gruppe), Natexis, Hendrix/Nutreco und Babolna. In der Masthähnchenzucht sind es ebenfalls vier: Merck/Aventis, Tyson Foods, Hendrix/Nutreco und Aviagen.

Den Tiefpunkt dieses Arrangements erreicht man in der Beantwortung der leicht abgewandelten biblischen Frage – Wo ist ihr Bruder, Herr Lohmann? Auf der Eierschiene braucht es Legehennen. Deren Brüder – statistisch 50 % einer jeden Population – können damit aber naturgemäß nicht dienen. Männerquote 0. Nicht älter als ein, zwei Stunden werden sie deshalb zu Abfall erklärt und getötet. Das sind zwischen 40 und 50 Millionen(!) männliche Küken jedes Jahr alleine in Deutschland … Wo ist § 1 S. 2 TierSchG? („Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“). Man muss sich dann aber fast schon wieder in die Ironie flüchten – die Schwestern der Küken haben in ihrer folgenden Quälhaltung auch kein Leben vor dem Tod …

Die Firma Lohmann gehört der PHW-Gruppe. Diese dominiert den deutschen Markt und ist deshalb der Adressat meiner Überschrift. Bekannteste Marke im Endverbraucherbereich ist übrigens Wiesenhof. Jetzt könnt ihr mich infantil nennen. Aber seit dieser Saison gehört zu einem perfekten Spieltag der Fußball- Bundesliga nicht alleine ein Sieg meiner Bayern, sondern auch eine Niederlage von Werder Bremen. Leisten sich die doch tatsächlich Wiesenhof als Haupt- und Trikotsponsor… In der Hinrunde unterlag übrigens im direkten Duell Bremen zuhause den Bayern 0:2. Und in der Rückrunde stand es am Ende 6:1 in München. Sehr fein!

Wo ist der Ausgang – will man nicht Vegetarier oder Veganer werden? Durch ihren Verzicht auf Eier sind nur Letztere bei der männlichen Kükengeschichte raus… Einkauf bei kleinen regionalen Betrieben – im Ideal sind diese noch vernünftig bio-zertifiziert. Also nicht EU-Bio, sondern Demeter, Bioland, Naturland oder Biokreis. Hier stimmen dann (wenigstens) das Futter und die Haltung.

Weil es gerade so schön passt. Im vergangenen Landtagswahlkampf in Niedersachsen haben Bündnis 90/Die Grünen mit diesem sehr gelungenen und schön doppeldeutigen Plakat geworben:

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Bin gespannt, ob (hoffentlich!) sich im Mekka der Massentierhaltung jetzt tatsächlich etwas ändert. Denn zu diesem Mekka ist es in den vergangenen Jahrzehnten unter allen politischen Farben (auch grün!) geworden.

Zurück mit Ernüchterung. Fast alle der Hühner – eben auch auf Biohöfen – kommen von den oben genannten Konzernen und entstammen Hybridlinien. Das machen sich viele nicht klar. Warum ist das so? Weil aufgrund der Konzentration auf die industrielle Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten eigentlich niemand wirklich auf die Erhaltung der Rassebestände der Zweinutzungshühner (und deren Leistungsfähigkeit) gesetzt hat. Nicht wenige tummeln sich deshalb auf der roten Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V. (GEH). Erfreulicherweise ändert sich das aber. Seit 2009 leisten z. B. die großartigen Herrmannsdorfer Landwerkstätten mit ihrem Projekt – Das Herrmannsdorfer Landhuhn – hier wieder Pionierarbeit. Vergangene Woche war ich in der Nähe und habe einen Blick darauf werfen können.

Das Wirtshaus zum Herrmannsdorfer Schweinsbräu hatte leider Ruhetag.

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Die Projektleiterin, Frau Florentine Rapp und Herr Frankenberger, der gerade ein Lehrjahr vor Ort absolviert, haben mir alles gezeigt. Beide Geschlechter geschwisterlich vereint:

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Die Rotfärbung des Gefieders rührt von einem Impfstoff her. Er wird wechselseitig durch picken aufgenommen. Das Projekt setzt auf eine Gebrauchskreuzung der beiden Rassen (Zweinutzung)  Sulmtaler und Les Bleues. Die Sulmtaler durfte ich bereits im vergangenen Jahr in ihrer südsteirischen Heimat kennenlernen. Reinrassige Les Bleues:

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Reinrassige Sulmtaler:

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Wer diese Arbeit unterstützen will, dem sei das Landhuhndarlehen ans Herz gelegt. Für 300 Euro erhält man 10 Jahre lang jedes Jahr einen Herrmannsdorfer Warengutschein im Wert von 40 Euro.

Slow Food schläft auch nicht. 2011 wurde das Augsburger Huhn (natürlich Zweinutzung) in ihr Biodiversitätsschutzprogramm Arche des Geschmacks aufgenommen. Ich habe das Frau Rapp mitgeteilt. Sie ist sehr angetan und überlegt sogar, einen Hahn an Bord zu holen.

Man kann freilich (noch) tiefer einsteigen und die Dinge in die eigene Hand nehmen. Das aber, ist eine andere Geschichte. Die Seite Hühner-Haltung und der Blog Gartenhühner mögen aber erste Schritte dorthin aufzeigen.

Den nationalen Bedarf mit ökologisch gefütterten und extensiv gehaltenen Zweinutzungsrassen stillen? Ja sicher! Vorsicht vor einfachen Lösungen. Aber manchmal sind sie einfach richtig. Also: Der Bedarf ist zu hoch. Und die Antwort hat einen Namen. Heute (dürfen!) wir uns ihr sogar aus umgekehrter Richtung her nähern. Der Weg führt zurück. Zum Sonntagsbraten!

5 Kommentare

  1. Author

    @ Schnick Schnack Schnuck: Wer kein Fleisch aber Milch, Käse und Eier zu sich nimmt, kommt an der Fleischfrage eben doch nicht vorbei. Wichtig ist nur, sich den Fragen zu stellen und sie nicht wegzudrücken. Die persönlichen Antworten sind dann so vielfältig wie das Thema selbst.

  2. Streng genommen ist Kalbfleisch ja auch bloß ein Nebenprodukt der Milchindustrie. Unsere Versorgung unterliegt schon einem bizarren Verlauf.

  3. Ob zuerst Huhn oder Ei da waren, ist biologisch klar: Das Ei. Es gab Echsen, lange bevor es Hühner gab.
    Und die Frage nach Hühnerfleisch läßt sich auch anders beantworten. Mit „Nein“.

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