“Schau mal – die spielen Boccia!” Jeder Pétanque-Spieler kennt diese Feststellung aus Zuschauerreihen. Dabei hat er gerade gar keine bunte, mit Wasser gefüllte Plastikkugel geworfen … Und selbst das wäre kein Boccia! Zur Aufhellung:

Die Regeln variieren – der gemeinsame Nenner: Präzision in Annäherung und Entfernung.

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Boccia kommt aus Italien. Die massiven Wurfkugeln bestehen aus Hartgummi. Die Zielkugel heißt Pallino. Gespielt wird auf festen Bahnen. Bundeskanzler Konrad Adenauer war dabei in mehreren Wochenschauen zu bewundern.

Mit der Sammelbezeichnung Boule kommen wir der Sache bereits sehr nahe. Boule Lyonnaise ist die Urform des Spiels in Frankreich. Daraus entwickelte sich dann das Jeu Provençal. Beide Arten kennen ein festes Spielfeld. Die hohlen Kugeln sind aus Eisen. Es wird mit Anlauf agiert.

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Dann am Ende der Nahrungskette: Pétanque. Gespielt wird im freien (unbegrenzten) Gelände. Auf faktisch jeder Unterlage. Es gibt drei Formationen:

  • 1 Spieler gegen 1 Spieler (Tête à tête) – 3 Kugeln pro Spieler (6 Kugeln)
  • 2 Spieler gegen 2 Spieler (Doublette) – 3 Kugeln pro Spieler (12 Kugeln)
  • 3 Spieler gegen 3 Spieler (Triplette) – 2 Kugeln pro Spieler (12 Kugeln)

Die (zumeist hölzerne) Zielkugel hat viele Namen. Klassisch sind Cochonnet, Gürkchen oder Schweinderl. An sie soll so nah wie möglich gelegt werden. Die Wurfkugeln sind wie bei den Urformen ebenfalls hohl und aus Metall. Deren Gewichte gehen von 650 bis maximal 800 g und haben einen Durchmesser von 70,5 bis maximal 80 mm. Mit ihnen nähert man sich ans Schweinderl (Legen) oder beseitigt von dort kunstvoll gegnerische Kugeln (Schießen). Wer zuerst 13 Punkte hat, gewinnt. Gewertet werden alle dem Ziel näher liegenden Kugeln als die Bestplazierte des Gegners. Für die ausführlichen Spielregeln darf ich auf den Deutschen Pétanque Verband verweisen. Einen Bayerischen Pétanque Verband gibt es natürlich auch.

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Anfang der 90er Jahre hat mich das Kugelfieber ereilt. Ich habe es aber nicht traditionell aus Südfrankreich mitgebracht, sondern war vielmehr nordeuropäisch beeinflusst. Auf dem Holzkoffer mit seinen acht Kugeln stand IKEA. Zur Beantwortung der Frage – ist das überhaupt etwas für mich? – sind solche Sets nicht ungeeignet. Nach dem Ja wird es dann aber schnell ein professioneller Satz (3 Stück) sein dürfen. Bei den Möbelhauskugeln gibt es nämlich immer nur zwei gleiche Kugeln. Damit kann (ernsthaft) weder ein Tête à tête noch ein Doublette gespielt werden. Von den wettkampfuntauglichen Gewichten und Maßen gar nicht zu reden. Bekannte Kugelhersteller sind Obut (Marktführer), Jean Blanc, La Boule Noir, MS-Pétanque, La Boule Intégrale oder la boule bleue (meine Werkzeuge! – ältester Hersteller/seit 1904/aus Marseille).

Solches Rüstzeug gibt es meines Wissens in Ingolstadt nicht zu kaufen. Das Internet bietet aber vielfältige Abhilfe. au fer macht einen guten Eindruck.

Die ersten Würfe gelangen mir im Luitpoldpark. Auf den Kiesflächen zwischen den beiden Steinlöwen – dort wo nunmehr die Glacisbrücke den Park durchschneidet. Und heute? Wo wird in Ingolstadt gespielt? Die größte Wahrscheinlichkeit auf Gleichgesinnte zu treffen bietet zunächst der Josef-Strobl-Platz (ehemals Proviantplatz, hinter der Franziskanerkirche/vor dem Arbeitsgericht). Dort ist auch das Revier des Pétanque Club Ingolstadt.

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Der Club vereint eine sehr bunte Mischung von lieben Menschen. Der padrone ist auch dabei. Im Sommer – heuer am 19. Juli ab 18 Uhr (Tête à tête) und am 20. Juli ab 13 Uhr (Doublette) – richtet der PCI hier die offenen Ingolstädter Stadtmeisterschaften im Pétanque aus. Jeder darf mitspielen (die Konkurrenzen sind ohne Lizenzpflicht):

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Auf dem Plakat steht fälschlicherweise Sonntag statt Samstag. Und im Herbst – heuer am 14. September ab 10 Uhr – steigt das “Proviant-Turnier”. Es erfreut sich überregional einer großen Beliebtheit und findet 2013 bereits in der 14. Auflage statt. Der lizenzpflichtige Wettkampf wird als Doublette ausgetragen:

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Wer einfach nur spielen will, kommt freitags ab 16 Uhr vorbei. Als Christine und Armin Weiherer ihren “El Chico” noch hier hatten, wurde bei Plusgraden (und oft war nicht einmal das Voraussetzung) fast täglich gespielt und im Sommer war der Platz bis sehr weit nach Mitternacht mit Spielern bevölkert. Diese Dynamik hat leider etwas abgenommen.

Ein weiterer guter Spielflecken ist der Klenzepark. Beim Biergarten des KiK gibt es zwei feste Boulebahnen. Solche Vorgaben und Begrenzungen schätzt der passionierte Spieler aber gerade nicht. Die Kugeln sollen frei rollen dürfen. Die Faszination des Spiels nährt sich nicht unwesentlich aus den sich immer wieder verändernden Bodenverhältnissen. Deshalb wird hier meistens auch auf den Wegen im Areal gespielt. Es ist übrigens das Hoheitsgebiet der “Nebenbouler” – dem zweiten Ingolstädter Club.

Im Schutterhof gibt es eine schöne – bis heute leider (Gott sei Dank?!) nicht wirklich regelmäßig bespielte – Fläche. Gleich am Eingang, rechter Hand.

Und sonst? Wo es gefällt! Wie gesagt – der leidenschaftliche Kugelwerfer spielt gerne unbeengt und allenfalls nicht gegen die Strömung … Wer weitere schöne Plätzchen bei uns kennt, darf sich gerne melden.

In Neuburg gibt es ebenfalls einen feinen Pétanque Club. Er tummelt sich auf dem grandiosen Karlsplatz in der oberen Altstadt. Wer Lust hat:

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Aber Vorsicht! Hier sind regelmäßig einige Cracks aus Sète (Partnerstadt von Neuburg) am Start … Die Pétanque-Beziehung Ingolstadt-Grasse gibt es zwar auch, aber leider nur sehr rudimentär.

Das größte kuglige Kräftemessen in Bayern wird jährlich von der 1. Münchner Kugelwurfunion ausgerichtet – das Hofgartenturnier. 2013 vom 12. bis 14. Juli. Es ist lizenzfrei. Weitere Turniere und insbesondere die aktuellen Ligastände (der PCI, die Nebenbouler und der PC Neuburg stellen hierzu Mannschaften) sind dort zu erfahren.

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Man hat den Sommer in der Nase und vor Augen. Die Sonne steht tief. Der Boden hat die Wärme des Tages gespeichert. Feine Steinchen knirschen beim Auftreten. Blankes Eisen in der Hand – welch eine Haptik – den Rest besorgt die vollendete Form des Runden. Die Kugeln schlagen leicht zusammen. Es ist dieses feine Klacken. Und dann der unnachahmliche Ton, wenn mit Wucht auf eine Distanz von vielen Metern, ohne den Boden vorher zu berühren, Metall auf Metall trifft – tirer au fer! Man geht in die Hocke – liest den Boden. Steht zwischen den Kugeln, berät sich mit seinem Team. Legt sich was zurecht. Schreitet zur Tat. Pure Physik. Pétanque ist in jeder Hinsicht bodenständig, geerdet, ja slow.

Die letzten beiden Jahre habe ich nicht mehr wirklich gespielt. Ein Prioritätenthema. Ich spüre jedoch deutlich das Ende dieser, meiner kugelfreien Periode.

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Eine Fußnote habe ich noch. Es sind diese sublimen Nuancen, die – bei aller gebotenen Kürze – einer solchen Bestandsaufnahme den letzten Schliff geben. Es war 2003. Erstmals und bis heute(!) unerreicht, gab es in jenem Jahr einen Pétanque-Stadtmeister in Ingolstadt, der sowohl im Tête à tête als auch im Doublette diesen Titel erringen konnte … 🙂

Allez les boules!

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9 Kommentare

  1. Wir, die Boulefreunde, haben eine schöne erweiterte Bouleanlage am Waldrand in Lenting!
    Jeden Freitagnachmittag freuen wir uns aufs spielen! Da wir unter Bäumen spielen, hat das Wetter nur eine kleine Nebenrolle! Gäste sind jederzeit herzlich willkommen!
    Schaut doch mal auf unsere Homepage:
    http://www.bf-lenting.jimbo.com

  2. Author

    Glückwunsch an Moni!!! Es scheint also immer 10 Jahre zu benötigen um das Double zu schaffen… Die Website des PCI meint
    wahrscheinlich, dass es das erste Mal eine SpielerIN geschafft hat. Der Doppelgewinner 2003 war männlich.

  3. Im Jahre 2013 wurde Monika Streit Stadtmeisterin im Tête-à-tête und im Doublette.

    Laut diesem Artikel war dies das erste Mal seit 2003, laut der Homepage des Petanque-Clubs Ingolstadt das erste Mal überhaupt.

    Was von beiden auch stimmen mag, eine großartige Leistung ist es allemal!

  4. ein sehr gelungener Artikel! Würden uns freuen, wenn aufgrund des Blogs nette Menschen zu uns (PC-Ingolstadt) finden würden.

  5. Author

    Die Fotos entstanden Ende Mai 2013 (trotzdem mit warmen Jacken) im Klenzepark.

  6. Hallo, das ist doch im Klenzepark!

  7. Habe auch “Wettbewerbs”-Kugeln, allerdings aus Frankreich. Und man kann auch gut im Luitpoldpark spielen. schließe mich gerne mal an. Kenne noch einen weiteren Herrn, der auch gerne dabei wäre.

  8. Hier noch eine ‘nördliche’ Variante (oder auch nicht …?): Finska. Besonders schön mit einem lokalen Cidre in der Hand …. In diesem Sinne, cheers.

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